Internationale Kunstanlässe 2022 – Zeichen der Zeit und Milliardengeschäft

Dieses Jahr finden alle drei wichtigen Kunstmessen der zeitgenössischen Szene gleichzeitig statt. Die Art in Basel während einigen Tagen. Die Documenta in Kassel während 100 Tagen und die Biennale in Venedig währen ein paar Monaten. Worum geht es bei diesen Grossanlässen?

Zur Art in Basel: Glamour und Geld sind im Zentrum

Der international tätige und im Glarnerland wohnende und arbeitende Videoskulpteur MARCK – www.marck.tv -  zeigt eine kritische Haltung zur Art Basel: „Es geht in erster Linie um den Verkauf und die Positionierung von Künstlern:innen. Die gezeigten Kunstwerke funktionieren nach dem Motto: „nur keine Experimente, nur nicht auffallen“. Die Art repräsentiert einen Silberstreifen des künstlerischen Schaffens, ist quasi das vom Eisberg über dem Wasser sichtbare. Weltweit gibt es sehr viele Kunstmessen, die auch unkonventionelle, auffallende Arbeiten zeigen. Wie es dazu gekommen, dass  man in Basel als Galerist mitmachen darf. Dies  ist ein gut gehütetes Geheimnis? Die Galeristen dürfen sich jährlich für ein paar Tausend Franken bei der Jury vorstellen, in der Hoffnung, dass sie zur Messe eingeladen werden. Ein Kern von Galeristen ist seit Jahren regelmässig dabei. Galeristen scheiden auch aus. Die Gründe bleiben aber im Dunkeln.  Doch die Hoffnung stirbt, weil die Auswahl gesteuert ist. Das ist schon so etwas wie pervers. Die Presse berichtet folgsam über das von der Messe Vorgegebene. Interessant ist, dass schon am ersten Tag  der Show immer und regelmässig über einen sehr teuren Verkauf einer Arbeit in den Medien berichtet wird; 2022 ist es die Skulptur „Spinne“  der verstorbenen Louise Bourgeois für Dollar 40 Millionen. Kurz: Es geht in erster Linie um Geld, Glanz und Gloria. Es ist der grösste Bazar der Welt, verbunden mit Celebrities und weltweiter Prominenz. Nebst Galeristen finden auch Anwälte ihre Beschäftigung, weil sich nicht eingeladene Galeristen immer mehr erfahren wollen, warum sie nicht dabei sein können“. 

Die Messe richtet sich regelmässig nach Themen, die angesagt sind oder die politisch höchste Aufmerksamkeit geniessen. 2022 sind Künstler aus der Ukraine sehr gut vertreten. Russische Kunstschaffende sind ausgeladen. Hongkong ist kein Thema. Schliesslich gibt es ja interessante Investoren aus China.

Das Buch „Kunst und Kapital“  Begegnungen auf der Art Basel zeigt die Hintergründe. Die Art Basel ist nicht nur “Messe“ im zweifachen Wortsinn, zeitlich und räumlich konzentrierte Zusammenkunft von Händlern, die ihre Waren feilbieten und gleichzeitig Ort ihrer Demonstration als “Heilige Güter“ mit abertausenden von Pilgern, ein Wallfahrtsziel der Anbetung klassischer und zeitgenössischer Kunst. Sondern sie wird gerade deshalb zur entscheidenden Zeugin eines Wandels der heutigen Beziehungen von Kunst und Geld mit allen Konsequenzen auch für die Bewertung dessen, was als „echte Kunst“ zu gelten hat. Die vorliegende Studie, Ergebnis einer mehrjährigen ethnografischen Feldforschung, versucht diesen Wandel in der Wahrnehmung der Beteiligten Messemacher, Galeristen, Sammler, Kuratoren, Kunstberater und Künstler detailliert nachzuzeichnen. Der Autor Franz Schultheis ist Professor für Soziologie an der Universität St. Gallen.

 Kunst und Kapital. Begegnungen auf der Art Basel (Kunstwissenschaftliche Bibliothek, Band 44)

CHF 24,35

zu beziehen auf Ex Libris

oder Amazon 

 

 

 

 


Die internationale Galerie Tschudi, mit Sitz in Zuoz und  Glarner Wurzeln ist seit vielen Jahren an der Art Basel vertreten. Sie ist auf konstruktive Kunst spezialisiert und zeigt immer wieder eine breite Vielfalt interessanter Werke

Instagram: Galerie Tschudi, Zuoz

Zur Documenta in Kassel: Politische Themen sind im Zentrum

Die Documenta wurde vom Kollektiv „Ruangrupa“ – Raum für Kunst – kuratiert und hat schon zu Beginn zu einem veritablen Skandal gesorgt. Die Geschichte der Documenta könnte lauten: Vor Unfällen nimmt man die Welt verlangsamt wahr und sieht wie in Zeitlupe, dass die Leiter, die man stabil glaubte, aus irgendeinem Grund immer weiter kippt und sich der Boden nähert. Und obwohl man weiss, was da passiert, dass man nämlich fällt, muss man staunen und weiss nichts mehr, schon gar nicht, wie es dazu kommen konnte. Soweit die Geschichte der fünfzehnten Documenta.

Seit vielen Monaten ist vor einer Ausstellung antisemitischer Kunstwerke gewarnt worden. Foren oder Gremien sollten im Vorfeld dafür sorgen, dass so etwas nicht passiert, dass stattdessen ein Dialog über dieses Thema stattfindet. Die Bemühungen waren nicht erfolgreich. Das Kunstwerk, auf welchem Juden als Schweine und Blutsauger abgebildet waren, ist gezeigt worden. Die Kommunikation der Verantwortlichen zeigt sich von breiter Hilflosigkeit. Die Folge ist, dass das Kunstwerk zuerst verhüllt und dann abgebaut worden ist. Die Durchhalteparole der Macher:innen „You all rock!“ wird zur Makulatur. Die Konzepte des Zusammenlebens, Kunst als kollektiver Prozess und das Thema der globalen Ungleichheit, als Grundkonzept der Ausstellung, ist in Frage gestellt. Der Einbezug des „globalen Südens“, repräsentiert durch Indonesien, verschleiert und erklärt nichts. Die Anti-Defamation League aus den USA zeigt, dass in Indonesien 47% der Bevölkerung antisemitische Klischees oder Einstellungen hegen, in Deutschland selbst sind es „nur“ 27%. Dies, obwohl es in Indonesien rund 200 Juden gibt. Das zeugt wohl von einem gerüttelt Mass an Naivität der Verantwortlichen. Folgerichtig wurde am 18.7.22 bekannt, dass die Generaldirektorin der Ausstellung zurückgetreten (worden) ist.  

Die romantische Idee des Happenings, das rockt, ist schief gegangen. Die Verbindung zur Vergangenheit mit postkolonialer Kunst, die Geschlechterrollen oder die gerechte Ressourcenverteilung von Reis und Zeit wird thematisiert. Story Teller treten auf und liefern ein Sprachwirrwar, das nicht verstanden werden kann. Dazu treten sie mit Gegenständen auf Installationen. Die Besucher:inn erfreuen sich am Non-Sens und applaudieren freundlich.  Der gesellschftliche Individualismus soll vom Kollektiv abgelöst werden. Es ist eine politische Ausstellung und man darf sich fragen: „Was soll und darf Kunst?“ Schliesslich hat ein Schweizer Galerist eine Galerie an der Ausstellung eröffnet, dessen Verkaufserlöse zwischen den Künstlern:innen und Umweltprojekten aufgeteilt werden sollen. 

Bild: Canva

Zur Biennale in Venedig: Globale Themen in der Gesellschaft sind im Zentrum

Charakteristisch für Venedig sind die zahlreichen Ausstellungen in den Länderpavillons. Dieses Jahr kommt noch ein Rundgang durch eine andere Kunstgeschichte dazu, der 213 Künstler:innen aus 58 Ländern Raum für ihre Werke gibt. 

Der Grundtenor der Biennale kann sich auf einen Nenner mit „universelle Verbundenheit“ oder die „Konstruktion von Identitäten“  gebracht werden. Die möglichen Medien der Kunstproduktion sind vielfältig eingesetzt. Es handelt sich vor allem um Installationen, die mit filmischen Mitteln oder mit kulturellen Inhalten verbunden werden. Im Belgischen Pavillon sind es Kurzfilme zum Thema „Nature oft the Game“. Die vielzitierte Resilienz und andere Probleme der aktuellen Zeit werden thematisiert. Im Japanischen Pavillon geht es um den Blick auf die aktuelle Welt mit Kinderaugen. Die Aussage ist, dass es zum aktuellen Wandel, wegen der Komplexität,  keine schnellen Antworten gibt. Der Spanische Pavillon thematisiert „Raum im Raum“. Die architektonische Intervention schlägt eine Brücke zu den Verhältnissen, die in Venedig anzutreffen sind. Die rumänische Ausstellung verbindet das Thema Körper mit den Politiken. Die Installation „You are another me“ zeigt Videos über  drei Paarbeziehungen mit heteronormativen Mustern. Beziehungen ohne Dominanzgefälle münden in die Themen Respekt, Diversität, Kraft und Empowerment. Bei der uruguayischen Installation Persona spielt die Kleidung eine Rolle, nach dem alten Muster „Kleider machen Leute“. Die gezeigten Uniformen sprechen von der Biografie der künstlerischen Intervention. Der Grossvater des Künstlers musste im KZ Uniformen schneidern. Da gibt es eine Verbindung zu Venedig mit den Maskenbällen und dem Karnevall. Im Pavillon Frankreich ist eine Installation in Form einer Reflexion über den Postkolonialismus zu sehen. Algier, Paris und Venedig sind die Schauplätze. Die präsentierten Filme zeigen, wie Musik und Tanz zusammenfinden. Gender queere Personen sind im Video im Pavillon Holland zu sehen. Sexualität, Liebe und Zuneigung sind im Video „When the Body Says Yes“ thematisiert. Die Präsentation dreht sich um nicht-binäre Männer. Die «Formel» LGBTQ ist die aktuelle Lesart und steht für Lesbian, Gay,  Bisexual, Transgender und Queer. Dies ist eine Art Grundkonsens für die Geschlechtsidentität, die sich in der aktuellen Zeit «neu» herausgebildet hat. Bei einer Online-Umfrage 2016 bei rund 12 000 Personen in der Europäischen Union resultiert, dass sich in Deutschland 7,4% der Bevölkerung dem LGBTQ-Spektrum zuordnen. Deutschland belegte den Spitzenplatz in der EU. Mit 1,5% ordneten sich in Ungarn die wenigsten Personen der LGBTQ-Community zu. Global, das heisst bei 111 Staaten hat sich die Toleranz von 2009 bei 25% auf 33% 2019 verändert. Island liegt an der Spitze. Auf dem letzten Platz ist Tadschikistan mit 1% Toleranz zu dieser Lebensweise. Es ist bemerkenswert, dass von den Rechten auf Homosexualität, gleichgeschlechtliche Partnerschaft und Ehen sowie Adoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren, 55 Staaten über keines dieser Rechte verfügen. 26 Staaten verfügen über alle Rechte und 74 Staaten haben nur ein Recht. Gesetzlich wird Homosexualität anerkannt. In der Schweiz liegt die LGBTQ-Toleranz 2019 bei 79%, 2009 ist der Wert bei 56% - (Quelle: Länderliste: Legatum Institute: The Legatum Prosperity Index 2019, London November 2019) – Beim Pavillon der Ukraine steht die Verteidigung einer Lebensweise im Fokus. Aus Sicht des aktuellen Kriegs eine nachvollziehbare Auseinandersetzung. Der vorgestellte  Fountain of Exhaustion, Aqua Alta lehnt an die zerfallenen Brunnen in Charkiew an. Gleichzeitig wird die fehlende Vitalität der post-sowjetischen Gesellschaft zur Diskussion gestellt. Dem gegenüber ist der sowjetische Pavillon leer. Autokratie verträgt sich nicht mit der Ambivalenz der Kunst. Im Schweizer Pavillon geht es um Aschenglut. Die Führung vom Hellen ins Dunkle, das Vertraute ins Ungesicherte, die Stille zum Rhythmus und der Musik werden thematisiert und dargestellt. 

Bild: Canva

Über die gesamte Ausstellung geht es immer wieder um Arbeiten über Liebe, Tod, Tragik oder die Ungewissenheit über die Zukunft. Geopolitisch werden mehrfach Themen wie Klimawandel oder politische Spannungen angesprochen. Die Ausstellung nimmt die aktuellen Geschehnisse in unserer globalen Gesellschaft auf und findet künstlerische Formen, die Spannungen, welche damit verknüpft sind darzustellen. 

 

Eduard Hauser